DER TAG VOR DER OP…

Ich komme an in der Klinik, danke an René, der mich begleitet, der mir einige Termine erleichterte, in dem er einfach dabei war. Er hat seine Freizeit geopfert, damit ich nicht allein zu irgendwelchen Terminen muss. Ich also erst mal zur Anmeldung, Nummer ziehen, warten, rein zu den netten Damen, zig Verträge unterschrieben, weiter zur Station, wieder warten, dann werde ich von Frau Dr. Semmler aufgerufen und ins Büro gebeten, ohje.
Sie ist sehr nett und arg kompetent, erklärt mir alles, ich werde beratend informiert, was mich erwartet, was mich erwarten könnte und was sie als Ärztin vermutet. ACH DU KACKE, Luftröhrenschnitt? Aua. denke ich nur  „N LOCH IM HALS“ . was kommt denn noch alles? Sie erklärt mir auch, dass die Lymphknoten aus der Halsregion entfernt werden, da einer auffällig sei. In Fachkreisen wird dies als Neck Dissection genannt. Es sollen Schnitte gesetzt werden am Hals, die man vielleicht für immer sehen wird. Ich werde also entstellt sein, schiesst mir durch den Kopf und die Tränen in die Augen. Boah, das kann ja was werden. Dass mir ein Teil der Zunge entfernt wird, weiss ich ja, mein Kopf aber sagt immer „die Zunge kommt ab“ Ich hab mich schon mit dem Gedanken befasst, nie wieder sprechen zu können. Sie klärt mich aber auf, dass ich mir da weniger Sorgen machen muss, da nur ein Teil entfernt wird. Es könnte ein Sprachfehler bleiben, der aber logopädisch therapiert wird. Sprich Atem- und Sprechübungen nach der OP. Zum Wiederaufbau der Zunge wird aus meinem Unterarm Haut und eine Aterie entnommen, damit die Zunge wieder nachgebildet wird und die Aterie dient dazu, dass die Zunge ausreichen mit Blut versorgt werden kann. Damit ich im Handgelenk kein Loch habe und meine linke Hand weiter vollständig benutzen kann, wird aus meinem Oberschenkel Haut entnommen, um die Wunde wieder zu schliessen. Das ist noch nicht so oft gemacht worden, normalerweise wird Haut aus der Leistengegend entnommen, aber das ist nach der OP immer eine schwierig verheilende Gegend. Daher halt aus dem Oberschenkel. Boah, wie lange werde ich denn da operiert, das kann doch nicht ein Arzt allein machen, oder? Nein, es werden mehrere Ärzte an mir arbeiten. Also OP-Dauer werden 6-8 h angesetzt. Ach du Schreck, so lange??? Na gut, um die OP mach ich mir keine Sorge, da sie mir verspricht, was auch die Anästhesie sagt, nichts mitbekommen werde von der ganzen Operationszeit. Na hoffentlich. Aber was wird danach sein?
Boah hab ich nen Schiss. Als ich wieder aus dem Büro darf, erzähl ich alles René, der mich beruhigt, dass ich das schaffen werde, dass ich es einfach schaffen muss. Ich schicke ihn heim, da ich Zeit für mich brauche. Boah was nun? Nun heisst es warten bis morgen früh, für 8 Uhr ist die OP angesetzt. Ob ich schlafen kann heut Abend? Was mach ich nur bis dahin, schliesslich ist es erst früher Nachmittag? Erst mal eine rauchen, okay zwei, drei rauchen. Boah hab ich Bammel. Ab aufs Zimmer erst mal. Ich freunde mich kurz mit meinen Zimmergenossen an, die diesmal sehr angenehm auch zu sein scheinen.

ICH KANN AUCH HELFEN...

Frau Dr. St... betritt das Zimmer und fragt mich freundlich, ob sie nachher mal mit mir sprechen könnte, es ginge um einen anderen Patienten, der mal mit einem anderen sprechen möchte, da auch ihm eine Magensonde a la PEG eingesetzt werden soll. Ich stimme zu. Dieser Patient ist Rudi. Rudi ist mitte 50, nicht sehr gross und ein verdammt dufter Kerl. Er wird in der nächsten Zeit noch öfter aufkreuzen in der Story.
Gleich ist Visite und schon werde ich wieder gebraucht. Die Ärzte betreten das Zimmer, nach kurzen Worten noch einmal, diesmal mit mehreren Studenten im Schlepptau, natürlich erst, nachdem ich meine Zusage gegeben habe. Die haben viele Fragen an mich: wann haben sie das festgestellt? Was wurde bisher gemacht? etc etc. ich gebe fleissig Antworten und die Studenten bedanken sich hinterher für meine Ehrlichkeit und meine Auskünfte. Na nichts leichter, als das.
Wieder ein paar Minuten bis zur OP rumgebracht, mal wieder n Kaffee trinken und eine rauchen und ne kleine Runde auf dem Krankenhausgelände drehen, wer weiss, ob und wann ich das wieder tun kann. Na gut rauchen will ich ja bleiben lassen, bin mir aber nicht so sicher, ob ich das schaffen werde.
Ich bringe irgendwie die Zeit rum, wahrscheinlich auch nur so gut, weil ich ein Handy habe und mehrfach mit meinem Bruder, meinem Papa und mit René telefoniere. Danke euch dreien, mir laufen immer wieder die Tränen, boah hab ich nen Schiss.
Der Abend ist da, Abendessen im Krankenhaus ist nicht so lecker, also in der Cafeteria ein paar belegte Brote kaufen, die sind allemal besser, als die auf Station, kosten zwar gutes Geld, aber das ist es mir wert. Dazu ne schöne Müllermilch – Schoko. Ist ja das letzte was ich vor der OP zu mir nehmen darf. Es wird Mitternacht und ich schlafe immer noch nicht. Boah das kann ja was werden. Abschliessend eine rauchen und mal nach einem Schlafmittel fragen. Wieder auf Station, die Nachtschwester gibt mir ein leichtes Schlafmittel, was auch schnell wirkt, ich schlafe ein. Irgendwann werde ich wach, schaue auf die Uhr und mecker lautlos in mich hinein, boah erst 3 Uhr. Ich versuche wieder einzuschlafen, was mir aber auf Grund des Kopfkinos nicht gelingt. Was nun? Na gut, noch darf ich, also ab eine rauchen.
Ich gehe zur Raucherinsel vor der Haupttür und stelle schon auf dem Weg dahin fest, ich bin nicht der einzige der nicht schlafen kann. Ich unterhalte mich massivst gut mit einer Mitpatientin, die am Bein operiert wurde ausgiebig, die mir Mut zuspricht und mir auch ein wenig die Angst nimmt und mir verspricht, Daumen zu drücken.
Gegen 4 Uhr bin ich wieder im Bett und schlafe auch gleich ein. Gegen 6 Uhr findet wie immer die erste Kontaktaufnahme zwischen Schwestern und Patienten statt, ich darf noch schlafen und tu dies auch gleich wieder. Gegen halb 7 Uhr kommt die Frühschicht der Schwestern ins Zimmer und will Fiebermessen. Thermometer untern Arm und Augen wieder zu. Ist schliesslich noch dunkel, 35,8 oder so, also alles bestens… „Herr Frenzel, um 8 geht’s in den OP“ Okay. Also doch raus ausm Bett und noch eine rauchen gehen schnell. Darf ich zwar nicht mehr, aber egal, die muss sein, das kann jeder Raucher mitfühlen. Boah die Hände zittern, und es liegt nicht am Rauchen oder an der kühlen Luft, sondern eher am Bammel, was mich gleich erwartet.
Wieder ins Zimmer, müsste ja bald losgehen.

Die Schwester kommt rein und bringt den obligatorischen „Scheiss-Egal-Schnaps“, den jeder vor einer Vollnarkose kriegt. Ich schütte ihn hinter, lege mich in mein Bett und warte. Aber nicht lange, es kommen Bettschieber und schieben mich mit samt Bett aus dem Zimmer, über zig Gänge geht es durch die Katakomben der Charité in Richtung Operationssäle. Ich kenne ja den Weg mittlerweile. Im Anästhesie-Bereich werde ich verschlaucht, Flexüle rein, und schon geht’s ab in den nächsten Raum, der der Operationssaal ist. Ich werde auf die OP-Liege umgebettet, man schliesst mich technisch an einige Geräte an und zack bin ich schon weg. Ich kriege rein gar nichts mehr mit.

NACH DER MONSTER-OP…

Ich werde also wach. Mal einen Tipp für alle Aufwachstationen: „Bitte hängt Uhren auf und schafft Fenster an. Es gibt nix schlimmeres, wenn man wach wird, und nicht weiss ob es Tag oder Nacht ist.“
Ich liege in einem rechte grossen Raum, um mich herum verschiedene Betten mit anderen Patienten, die entweder noch nicht wach sind, oder schon die Augen offen haben, es wird gehustet, geschnarcht, gejammert (das kann tierisch nerven).
Ich schaue mich im Raum um, nur mit den Augen, denn bewegen kann ich mich nicht, ich habe keine Schmerzen. Der ganze Körper ist taub, ich weiss nicht wie es mir geht. Ein Pfleger läuft rum, den ich versuche zu bitten, mir zu sagen, wie spät es ist. Er versteht mich und sagt mir die Zeit, kurz vor 9, ich rechne im Kopf nach und stelle fest dass ich über 12 Stunden weg gewesen sein muss. Ich erfahre sonst nix. Die Nacht ist der Horror, ich weiss nix und bin permanent wach, da irgendjemand wieder rumhustet oder jammert. Ich fühle mich massivst fehl am Platz.
„Ich gehöre hier nicht hin, hier sind ja nur Kranke.“ ist immer wieder mein Gedanke.
Immer wieder bitte ich um ein Schlafmittel, ich will endlich auf Station oder wenigstens schlafen, dass die Zeit vergeht.
Irgendwann wechselt die Schicht, andere Leute laufen rum und ich stelle fest, dass es morgens sein muss, na vielleicht darf ich bald hier weg. Ich will auf mein Zimmer und ich will Licht sehen. Bewegen ist ja leider nicht möglich. Sprechen auch nicht. Ach ja, die sagten ja was wegen Luftröhrenschnitt vorher. Da wird man nicht sprechen können, denke ist, auch weil ein Stück der Zunge fehlt und ich sicher total narkotisiert sein werde im Mundraum.
Endlich mal ein bekanntes Gesicht. Meine Ärztin kommt an mein Bett und fragt mich, wie es mir geht. Ich versuche mit tonlosen Mundbewegungen anzudeuten, wann ich endlich auf Station darf. Sie sagte, noch ein paar Stunden, dann darf ich auf Station gebracht werden. Na wieder warten, kenne ich ja mittlerweile.
Im Bett neben mir liegt ein Herr Professor, der wohl mit Notarzt ins Krankenhaus gebracht wurde. Ich kann ihn leider nicht sehen, wegen meiner Körpertaubheit, aber ich bekomme mit, dass den Herrn hier alle schon kennen. Entweder ist er öfter hier, oder er hat hier mal gearbeitet. Ich werde es wohl nie erfahren.
Ich weiss weder wie ich aussehe, noch weiss ich, was alles an Schläuchen in mir steckt und welche Kabel an meinem Körper angebracht sind. Sehr seltsame Situation. Dann noch andauernd dieses Piepen der Apparate, boah ist das nervig.
Endlich kommen die Schwestern zu mir und fangen an, Kabel mit Klebepunkten von meinem Körper zu entfernen. Ob ich jetzt endlich raus darf hier? Und ja.
Ich werde durch die Katakomben der Charité wieder auf Station geschoben gegen 9 Uhr morgens. Na endlich. Das waren die längsten 12 Stunden meines Lebens. So schnell wie die lange OP-Zeit verging, so lange zog sich dann wiederum die Zeit auf der Aufwachstation hin. Ich treffe in meinem Bett in meinem Zimmer ein. Meine Zimmernachbarn begrüssen mich, ich grüsse via Wink zurück. Ich schlafe erst mal ein. Als ich aufwache, fuhrwerkt eine Schwester grad an mir rum und entleert irgendwelche Flaschen oder Gefässe. Ich sehe Blut. Leider kann ich nicht fragen. René besucht mich auch, wie jeden Tag nach der Operation. Ich kann mich aber nur erinnern, dass er da war, aber leider nicht, was er geredet hat, auch nicht, wie lange er da war. Aber ich habe mich riesig gefreut, dass er da war. Sogar Horst, der Zimmernachbar aus der Anfangszeit, den ich kennenlernte, als ich zur Panendoskopie war, schaut bei mir nach dem Rechten. Auch darüber habe ich mich gefreut.
Am Tag zwei gings mir dann schon um weiten besser. Mit einer Schwester ging ich zwei, drei Schritte im Zimmer rum. Die beiden Tage vergingen plätschernd. Keine wichtigen Vorkommnisse. Ich bitte René mir mein Handy aus dem Schrank zu geben, ich stelle freudestrahlend fest, das sich simsen kann. Wenn auch sehr langsam. Auf Grund der Frontkamera lerne ich mich aber erstmal wieder kennen. Ich sehe mich das erste Mal. Ach du Kacke, mein Hals ist dick verpflastert, ein paar Tackernähte schauen oben raus.
Bin echt gespannt, wann ich meinen Hals mal komplett sehen darf. Ich schaue mich mal weiter an. Aus meinem geschienten Arm schaut ein Schlauch, der in ein Gefäss verläuft, in dem nun schon eine achtenswerte Menge Brühe ist, die aus Wundwasser und Blut besteht. Dasselbe auch an meinem Hals und meiner Leiste.
Ich wurde auch beschlaucht an meinem *hust* Dingens. Ach deswegen muss ich nicht pinkeln. Diese Gefässe wurden alle an mein „schickes“ Krankenhausnachthemd gehängt. Ja, das sind die sexy Leibchen, die hinten offen sind. Grottenhässlich, aber rückblickend muss ich sagen, verdammt bequem.
Auf meinem rechten Oberschenkel, von dem Haut abgeschabt wurde, prangt ein riesiges Pflaster, welches man mir ins Handgelenk eingesetzt hat, damit dort die Stelle zugemacht wird, wo man das Transplantat samt Arterie für die Zunge entnahm. Ich bin also mein eigenes Ersatzteillager. Auch praktisch. Ist mir auch allemal lieber, dass ich nichts eingesetzt bekomme, was jemand anderem gehörte.
Weiter mit der Bestandsaufnahme meiner eigenen Person. Mein Gesicht ist aufgedunsen. Rund wie der Vollmond. Was mich freut, ich merke rein gar keine Schmerzen. Zum Glück auch. Muss höllisch weh tun sowas. In meinen Haaren und meinen Ohren ist krümeliges Zeug zu spüren, was sich auf Nachfrage bei einer Schwester, als getrocknetes Blut herausstellt. Waschen darf man noch nicht wegen der Wunden am Hals. Der ist komplett taub, wie auch die Ohren. Das soll auch noch Monate so bleiben mit dem Taubheitsgefühl. Immer wieder kommen Ärzte rein, die mit mir sprechen, mich informieren, was alles gemacht wurde. Mann. Insgesamt 5 Leute haben an mir rumgeschnippelt und rumgenäht. Die Tage vergehen recht langsam. Ich bekomme aber jeden Tag von René Besuch.
Am Tag 3 Nach der OP kommen mein Bruder und mein Papa mich besuchen. Extra aus Hamburg und der Niederlausitz. Ich freu mich riesig. Kann nur noch nicht sprechen. Son Mist. Ich rede mit Kugelschreiber und Papier. Papa bringt mir den kleinen Plumplori mit, der mir dann im Bett nichtmehr von der Seite weicht.

Mein Bett im Krankenhaus (rechts vom Bett der Stoma-Absaugapparat)

 

Ohjeeemineeee…, wie seh ich denn aus...


 
Der gehörte meiner Mama. Ach ich vermisse sie so arg. Ich kann auch mit beiden eine kleine Runde drehen, sogar mal vor die Tür an die Luft. Mein Bruder löchert die Ärztin mit Fragen, wir machen einen Fragenzettel vorab und notieren alle Antworten, damit man sich erinnert. Man erfährt so viele Sachen, man hat auch viele Fragen, aber wenn man nen Arzt sieht, vergisst man wieder die Hälfte. Von daher, der Fragenzettel lohnt sich. Jeden Tag mache ich einen neuen Zettel.
Am 4. Tag besuchen mich meine Tante und meine Cousine. Auch darüber freue ich mich riesig. Mit den beiden gehe ich sogar mal in die Cafeteria.
Auch wenn ich weder essen, noch trinken darf. Ich sage den beiden immer wieder, wie sehr ich mich über Ihren Besuch freue. Das hab ich bei Jörg und Papa auch immer wieder gezeigt. Wahrscheinlich zu oft.
Es passieren täglich neue kleine Fortschritte, ich erfahre auch jeden Tag neue Infos, die Docs und die Schwestern sind massiv mit mir zufrieden. Ausser eine Schwester, die mir mehrfach mitzuteilen hatte, ich solle mich nicht so haben. Besonders gern brummt sie auch rum, wenn man eine Frage hat, die sie einem schon einmal beantwortet hatte. Bis zu dem Zeitpunkt, bis ich sie mal zurück anbrummte, dass dies der erste Krankenhausaufenthalt in meinem Leben sei. Vor der Krebsgeschichte betrat ich Krankenhäuser nur, um Leute zu besuchen oder meine Mama von der Arbeit abzuholen. Ich kläre sie auch auf, dass ich Verkauf arbeite, wir also beide im Dienstleistungsgewerbe arbeiten, und ich mir ein Benehmen wie sie, nicht leisten kann und sie schliesslich als Krankenschwester auch ein wenig Rücksicht haben solle. Als sie mir mal wieder zeigte, dass die meine Reaktionen wieder als Weicheierei abtat, fragte ich sie auch freundlich, ob sie selbst schon mal eine OP dieser Art am eignen Leib erfahren hat. Ihre Antwort war NEIN, also wies ich sie drauf hin, dass sie das dann gar nicht beurteilen könne, wie man sich fühlt. Ich glaube, das sass, denn von diesem Moment an war sie ganz anders drauf, als sie mich sah. Sie grüsste plötzlich freundlich, sie beantwortete mir Fragen, auch wenn ich diese schon mal gestellt hatte. Ich war begeistert. Ich kam seitdem super mit ihr aus.
Sie zeigte mir, wie man sich über die PEG die Medikamente selbst gibt und wie man die Nahrung und die Flüssigkeit selber anstöpselt. Ich versuchte, alles, was ich selbst tun kann, auch selbst zu erledigen. Nur Antibiotika
und Co. verabreiche ich mir nicht selbst.
Eine weitere Schwester zeigte mir, wie man die PEG richtig versorgt, sprich reinigt und neu verbindet. Es geht super.
Es wird Sonntag. Sonntage sind in Krankenhäuser sehr langweilig. Kaum Untersuchungen also kaum etwas zu tun. Gottseidank bekomme ich wieder Besuch von René. Und ich habe früh von Frau Dr. erfahren, dass ich sprechen kann, wenn ich die Kanüle des Luftröhrenschnittes zuhalte.
Ich solls aber noch einschränken, da ich sonst meine Stimmbänder überfordere. Es gibt jedenTag Besserungen, die die Ärzte staunen lassen, dass alles so schnell geht bei mir. Am Montag erfahre ich, dass ich einen Trink-Schluck-Test machen soll und da alles super klappt, erhalte ich die Erlaubnis, einen Kaffee zu trinken. Den Kaffee hebe ich mir natürlich auf, wenn René da ist. Endlich mal einen Kaffee trinken. ENDLICH WAS TRINKEN. Ich hab richtig ne Träne in den Augen, als ich mit René in der Cafeteria sitze und vor mir MEIN KAFFEE steht.

Tino am Tag  nach der OP



rechter Oberschenkel und linker Unterarm (Narbe genäht)

 

Hals: Tracheostoma und geklammerte Narben



Der Kaffee schmeckt und Tino wird langsam wieder zum Menschen.



Ich kann es kaum erwarten wieder wenigstens alles trinken zu können. Und ich genoss den Kaffee wie sonst nie zuvor. Und es wird die Hälfte der Klammern und Fäden gezogen. Langsam wird der Tino wieder zum normalen Menschen, vorher sah ich ja aus wie Chucky – Die Mörderpuppe.

ENDLICH MAL WAS POSITIVES... 

Was aber vieeel wichtiger ist, ist die Histologie der Tumorpathologie: der Tumor wurde zu 100% entfernt, mir schiessen die wieder die Tränen in die Augen, aber diesmal echt vor Freude. Ich teile meiner Familie und allen Freunden gleich die tolle Nachricht via Telefonat, Whatsapp und SMS mit und erhalte durchweg positive Bekundungen. Ich bin so froh, auch wenn am folgenden Tag noch die Nachricht kommt, dass ich auch noch bestrahlt werden soll. Zur Sicherheit, wurde mir aber auch von mehreren Stellen empfohlen, damit wird die Chance eines Rezidivs minimiert. Oh ich rede schon wie die Ärzte, also die Gefahr eines Wiederkehrens des Tumors wird nochmal minimiert, falls dieser unerkenntlich gestreut haben sollte. Die Ärztin erklärt mir abends die Situation. Die Bestrahlungen wird insgesamt schwächer ausfallen. Maximal 30mal wird bestrahlt. Dies wird gleich im Anschluss an den Krankenhausaufenthalt. Also im Schnitt 6 Wochen nach der Operation. Einen Termin in der Strahlenklinik erhalte ich spätestens zur Entlassung.
Ansonsten ist Dienstag nicht viel passiert, ausser, dass ich die Info erhalte, eventuell Freitag schon aus dem Krankenhaus entlassen zu werden.
Ich glaube da noch nicht dran. Mal abwarten. Ich lerne am Dienstag auch noch mehr Leute kennen. Eine Sozialarbeiterin und einen Sozialarbeiter von der Charité, die mich informieren, was ich alles erwarten kann. Ich bin seit dem Erkennen des Tumors schwerbeschädigt, dass bedeutet ich darf einen Schwerbeschädigtenausweis beantragen. Bringt im normalen Leben wenig Vorteile, ausser dass mir nun in der Bahn ein Sitzplatz zusteht. Ich musste bei dem Gedanken schmunzeln, wenn ich Leute aufscheuche. 
Im beruflichen hat man mehr Vorteile. Besonderer Kündigungsschutz, mehr Urlaub und ich werde bei Wiedereintritt ein Quotenbehinderter sein. Man hat noch mehr Vorzüge, aber die alle aufzuführen ist zu kompliziert, sind eher steuerrechtlich von Vorteil. Ich lass mir alles erklären und entscheide, mal am Donnerstag mit Dirk sprechen, auch ein Kollege, der aber gleichzeitig Betriebsratsvorsitzender ist.

Aber erst mal ist der Mittwoch wichtig (13.11.13), denn da kommen die ersten Kollegen mich besuchen. Nachmittag ist es auch soweit. Vormittag wurden die restlichen Klammern und Fäden entfernt. endlich wird alles erkennbar, was mal bleiben wird. Meine Kollegen sind unterwegs, mich verschlägt es schon vor an die Strasse. Dass Martina kommt, wusste ich zu dem Zeitpunkt noch nicht. Also suche ich nur nach dem rausragenden Kopf von Paule in den Massen, die vor der Charité rumlaufen und simse hin und wieder erwartungsvolle SMS. Endlich seh ich Paul. Und Patti und ooooh cool, Martina. Ich freu mich riesig. Ich plappere, was alles bisher passiert ist und lasse die anderen kaum zu Wort kommen, was sie mir hoffentlich nicht übel nehmen. Haben uns ja fast 5 Wochen nicht gesehen. Bin ja seit Entdecken des Tumors krankgeschrieben bisher. Ich bekunde den dreien immer wieder, wie sehr ich mich freue, dass sie da sind, bis es mir selber auffällt und ich mich für die Flut an Dankungen entschuldige und wir alle lachen müssen. Wir gehen ins Café an der Luisenstrasse. Ich hab Geschenke erhalten von meinen Küchenleuten und auch aus der Auftragsverwaltung. Martina und Patti brechen auf, mein Kumpel Paule bleibt noch ne Weile.Gegen 20 Uhr muss aber auch Paul langsam losmachen und so verabschieden wir uns. Super happy latsch ich wieder ins Zimmer, essen und schlafen.

Der Donnerstag (14.11.13) kommt schneller als gedacht. Heute wird mir auf meinen Wunsch und mit Hilfe der Schwester gezeigt, wie ich die Halskanüle (Tracheostoma) selbst entferne, reinige und wieder einsetze. Es funktioniert super. Rein theoretisch benötige ich keine Hilfe zu Hause, ausser fürs Verbinden. Aber ich lass die Kollegin von der Hauskrankenpflege trotzdem kommen. Sie soll mir das mit dem Verbinden zeigen, dann klappt das schon. Mal sehen ob ich morgen heim darf, laut Aussage der Ärztin am Morgen JA. Juchuuuu.
Endlich hier raus. Vorher bekomme ich aber noch Besuch von Dirk. Er ist pünktlich da und wir sind schnell wieder im alten Trott, Kaffee und schwatzen. Ich zeige ihm, wie auch schon am Vortag den anderen Dreien mein Zimmer, die Station etc. und was ich so den lieben langen Tag hier treibe. Ist nicht viel, was man da zeigen kann.
Dirk verschwindet wieder und ich gehe das letzte Mal in mein Zimmer zur Nachtruhe. Was an dem Tag noch passierte war, dass Rudi, dem ich die PEG erklärt und gezeigt habe, plötzlich und unerwartet einen schweren Brechanfall hatte, nachdem ihm die PEG angelegt wurde und über Nacht operiert werden musste. Hoffentlich geht alles gut. Ich bin weiterhin mit seiner Frau in Kontakt in der Zeit. Er muss insgesamt 2 Tage auf der Intensiv bleiben. Ich werde ihn also bis zur Entlassung nicht mehr sehen. Schade. Aber ich habe versprochen ihn regelmässig zu besuchen.

Der Freitag naht. Die Entlassung naht. Ich komme als einer der ersten zur Untersuchung, die Oberschwester hat schon den Krankentransport bestellt für ca. 9:30 Uhr, ich packe alles ein. Mann, was man alles ansammelt in 10 Tagen. Alles gelingt mir leider nicht einzupacken, das Nageletui bleibt liegen im Schrank und die Billigkopfhörer bleiben auch am TV hängen, da der Transport schon 9 Uhr vor der Tür steht und Hektik verbreitet. Egal. Ich werde endlich gleich zu Hause sein. Meine Bude, meine Katze und MEIN BETT warten schon auf mich.
Die Krankentranspoteure liefern mich heile daheeme ab und ich werde freudig von René empfangen, mit einem frisch gekochten Kaffee. Am Freitag führe ich noch ein paar Telefonate, der Kollege der Fresenius liefert mir das Startpaket Astronautennahrung und Stomaversorgung.
Die Mitarbeiterin der Hauskrankenpflege meldet sich für Samstag 10-12 Uhr bei mir an. Nun hab ich meine Ruhe, ich muss mich auch erst mal wieder einleben. Taschen auspacken. Technik der Stomaversorgung (Absauggerät) aufbauen und Medikamente und Verbände, Pflaster und Co. einsortieren. Einkaufen muss ich auch noch gehen. René begleitet mich. Ich muss aber den
Rewe wieder verlassen, da es doch anstrengend ist, so viele Lebensmittel sehen, die man nicht essen darf. Man glaubt gar nicht, wie das an den Nerven nagt, nicht essen zu können. Die Stomakanüle drückt die Speiseröhre zu, so dass man nicht schlucken kann. Hoffentlich erfahre ich bald, wann ich wieder essen darf.
Samstag ist eher unspektakulär, morgens kommt die Hauskrankenpflegerin, die mir zeigt, wie das mit dem Verbinden klappt. Für Sonntag vereinbaren wir den letzten Besuch, wo sie es nochmal zeigt. Mehr muss nicht getan werden. Sonntagnachmittags treffe ich mich mit meiner Cousine auf n Käffchen in einem Café im Prenzlauer Berg. Wir schwatzen uns durch den Nachmittag und tauschen uns ausreichend aus. Bei ihrem Besuch in der Klinik konnte ich ja noch nicht reden. Das holen wir nun aber alles nach.

„Danke Jungs, dass ihr mich besucht habt!“

 

Meine Taschen bei Abreise „juhu, endlich heim!!!“


 
letzte Änderung: 08.05.2014